Swoboda: “Erdoğan kann seine Rolle als wichtiger Partner der EU nicht ausspielen”

Vor 13 Jahren plädierte Hannes Swoboda auf eine Alternative anstatt der Vollmitgliedschaft der Türkei in die EU. Heute sieht er auch die Alternative als nicht so leicht umsetzbar. Bei den Wahlen in der Türkei im Mai hatte er keinerlei Hoffnungen auf einen Wechsel.

BİLAL BALTACI 30 Ekim 2023 DE

Foto: Depo Photos

Vor dreizehn Jahren bezeichnete der SPÖ-Europaabgeordnete Hannes Swoboda die Vorstellung eines Vollbeitritts der Türkei zur Europäischen Union als “illusorisch”. Heute hören wir ähnliche Töne aus hochrangigen politischen Kreisen, die die Perspektive einer Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU in Frage stellen.

Nicht nur Bundeskanzler Karl Nehammer, der betont, dass eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU für Österreich nicht vorstellbar ist, sondern auch in einst Türkei-freundlichen Parteien traut sich niemand mehr, für die Vollmitgliedschaft zu plädieren. Stattdessen werden Stimmen für eine Neuausrichtung der Beziehungen zwischen der Türkei und der EU lauter. Dies schließt die formelle Beendigung der seit Jahren eingefrorenen Beitrittsverhandlungen und die Entwicklung eines neuen Konzepts für die nachbarschaftliche Zusammenarbeit ein. Swoboda ist der Meinung, dass diese beiden Schritte Hand in Hand gehen sollten. Erst wenn das neue Konzept abgeschlossen ist, können die Beitrittsverhandlungen beendet werden. Kronos erreicht den ehemaligen Vizechef der Sozialdemokraten in Europa in Rom.

Kronos: Herr Swoboda, Sie haben die Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU im Jahr 2010 als “illusorisch” betrachtet. Jetzt hören wir vermehrt von Alternativen. Haben Sie also Recht gehabt?

Hannes Swoboda: Ja, tatsächlich ist es so. Als ich im Jahr 2010 meine Bedenken bezüglich der Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU äußerte und von Alternativen sprach, stieß das auf gewisse Skepsis. Damals war es ein kontroverses Thema. Heute können wir jedoch feststellen, dass die Diskussion über Alternativen an Bedeutung gewonnen hat. Heute muss ich sagen, dass diese Alternativen auch schwer umzusetzen sind.

Wieso?

Die Türkei verfolgt eine selbständige eigene Rolle. Im Fall von Aserbaidschan und Armenien könnte die Türkei eine viel größere Rolle spielen, wenn sie die diplomatischen Beziehungen zu Armenien wieder aufnehmen würde. Das könnte die Türkei trotz der Unterstützung von Aserbaidschan machen. Erdoğan begreift nicht, dass man eine Seite unterstützen kann und dennoch gute Beziehungen mit der anderen Seite pflegen kann. Das versteht er nicht.

Was ist diese “selbständige eigene Rolle”?

Erdoğan versucht, sich wichtiger zu machen. Aber immer wieder stoßen diese ideologischen Barrieren dagegen. Er will Aserbaidschan nicht verärgern und betrachtet die Situation dort einseitig. Gleichzeitig möchte er die Muslimbrüder nicht verärgern und sieht auch dort den Konflikt einseitig.

Kann er diese Rolle als Vermittler im Nahen Osten ebenfalls nicht erfüllen?

In der letzten Zeit hat Erdoğan versucht, sich Israel anzunähern. Leider wurde ihm das aufgrund der terroristischen Angriffe der Hamas erschwert, da diese ideologisch mit den Muslimbrüdern verbunden ist, die wiederum ideologische Verwandte von ihm sind. Hierbei kann er seine Rolle als wichtiger Partner der Europäischen Union nicht ausspielen. Im Fall von der Ukraine macht er das ja gut.

Was sollte er Ihrer Meinung nach machen?

Ich sehe die Möglichkeit, dass Erdoğan im Nahen Osten als eigenständiger Akteur Stabilität schaffen könnte. Stabilität ist von entscheidender Bedeutung. Er sollte sich konstruktiver mit der kurdischen Frage auseinandersetzen und Konfrontationen vermeiden. Ebenso könnte er die Situation verbessern, indem er einige der kurdischen Bürgermeister in seinem eigenen Land nicht weiter inhaftiert. Es gibt ein erhebliches Potenzial für eine größere Rolle, aber leider neigt er dazu, konfrontativ zu handeln. Konfrontation mit kurdischen Gruppen und Konfrontation mit Israel und Armenien.

Wie bewerten Sie die gegenwärtigen Beziehungen zwischen der EU und der Türkei? Glauben Sie, dass es Raum für Verbesserungen gibt?

Die Beziehungen zwischen der EU und der Türkei sind zweifellos komplex. Es gibt Herausforderungen und Differenzen in verschiedenen Bereichen. Dennoch ist es wichtig zu betonen, dass es immer Raum für Verbesserungen gibt. Die EU und die Türkei teilen gemeinsame Interessen, sei es in der Wirtschaft, bei der Bekämpfung des Terrorismus oder bei der Bewältigung globaler Herausforderungen.

Herr Nehammer hat in letzter Zeit betont, dass man die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei komplett abbrechen sollte. Wie stehen Sie dazu?

Ein Abbruch könnte sinnvoll und machbar sein, vorausgesetzt, dass wir gleichzeitig in einigen Bereichen Fortschritte erzielen, insbesondere in wirtschaftlichen Angelegenheiten und bei der Verbesserung der politischen Beziehungen. Statt stillzustehen und die bestehenden Meinungsverschiedenheiten zu betonen, sollten wir uns darauf konzentrieren, den alternativen Plan auszuarbeiten. Erst dann macht ein Abbruch der Verhandlungen Sinn. Das wäre meiner Meinung nach der einzig richtige Weg.

In letzter Zeit hegte so mancher in Europa die Hoffnung, dass Erdoğan bei den Wahlen im Mai abgewählt würde, und dass sich die Beziehungen danach grundlegend ändern könnten. Wie haben Sie diese Phase verfolgt?

Ich hatte nie die Hoffnung, weil ich auch den Oppositionskandidaten Kemal Kılıçdaroğlu kenne und einen Konflikt mit ihm hatte. Erdoğan hat geschickt verstanden, den einzigen wirklichen Herausforderer auf Eis zu legen, nämlich den Bürgermeister von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, dem er ein Verfahren an den Hals gehängt hat. Aber selbst im Falle eines Wahlerfolgs der Opposition wäre ich mir nicht sicher, ob die Türkei grundsätzlich eine andere Politik einschlagen würde.

Wollen Sie mir erzählen, was Sie mit Kılıçdaroğlu erlebt haben?

Keine Antwort, Anm. der Redaktion

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