“Putschversuch” in der Türkei: Kassationshof und Verfassungsgericht im Machtkampf

Kassationshof ignoriert Verfassungsgericht und erstattet Strafanzeige gegen die Verfassungsrichter: Can Atalay bleibt in Haft. Die Entscheidung löst Spannungen zwischen den Gerichtsinstanzen aus. Politiker, darunter Hüseyin Çelik, sprechen von einer "eigenen militanten Justiz".

BİLAL BALTACI 09 Kasım 2023 DE

Foto: Abdurrahman Antakyalı - Depo Photos

In einem brisanten Rechtsstreit hat die 3. Kammer des “Yargıtay” (Kassationshof), dem höchsten Berufungsgericht der Türkei, die Entscheidung des Verfassungsgerichts über die Nichtfreilassung des inhaftierten Abgeordneten Can Atalay ignoriert. Das Verfassungsgericht hatte zuvor entschieden, dass die Rechte von Atalay verletzt wurden und seine Freilassung angeordnet.

Die Weigerung des Yargıtay, diese Entscheidung zu akzeptieren, führt zu einer angespannten Situation zwischen den beiden Gerichtsinstanzen. Die 3. Kammer des Yargıtay geht sogar so weit, Strafanzeige gegen die Verfassungsrichter zu erstatten, die für die Freilassung gestimmt hatten.

Unter den betroffenen Verfassungsrichtern befinden sich prominente Persönlichkeiten, darunter der Präsident des Verfassungsgerichts sowie Vizepräsidenten. Die 3. Kammer des Yargıtay behauptet, dass diese Richter ihre Befugnisse überschritten hätten.

“Wir haben eine eigene militante Justiz geschaffen”

Die Entscheidung des Yargıtay hat nicht nur politische, sondern auch rechtliche Auswirkungen. Eine Untersuchung gegen die Verfassungsrichter kann laut Gesetz nur durch einen Beschluss der Generalversammlung des Verfassungsgerichts eingeleitet werden. Die Situation führt zu wachsender Spannung zwischen den Gerichtsinstanzen und politischen Parteien.

Der Fall Can Atalay, ein inhaftierter Abgeordneter im Zusammenhang mit dem Gezi-Park-Prozess, gewinnt somit an politischer Bedeutung. Prominente Persönlichkeiten, darunter ein Mitbegründer der Regierungspartei und ein ehemaliger Premierminister, äußern sich zu diesem kontroversen Rechtsstreit. Die öffentliche Diskussion über die Unabhängigkeit der Justiz und den Rechtsstaat wird intensiver.

Prominente Persönlichkeiten wie der AKP-Mitbegründer Hüseyin Çelik und der ehemalige Premierminister Davutoğlu haben ihre Meinungen zu diesem ungewöhnlichen Rechtsstreit geäußert.

Hüseyin Çelik gestand, dass die Türkei jetzt eine “eigene militante Justiz” habe, während Davutoğlu von einem “Angriff auf den Staat und die Rechtsordnung” sprach. Die Opposition, angeführt vom neuen Parteivorsitzenden (Parteiobmann) der Republikanischen Volkspartei CHP, Özgür Özel, reagiert auf die Entscheidung des Yargıtay mit einem Boykott der Parlamentssitzungen. “Um die Justizkrise und den Putschversuch im Fokus zu behalten, beginnen wir ab heute mit dem Boykott der Generalversammlung des türkischen Parlaments.”

Der erfahrene Justizreporter Alican Uludağ wies auf den Konflikt zwischen der AKP und MHP in der entstandenen verfassungsmäßigen Justizkrise hin: “Die MHP hat Schritt für Schritt die AKP umzingelt. Wie im Fall des Yargıtay wird sie, wenn die Partnerschaft endet, die Macht haben, gegen die AKP vorzugehen.”

Die Nichtanerkennung der Verfassungsgerichtsentscheidung durch das Yargıtay führt zu einer Krise im Bereich der Rechtsstaatlichkeit, deren weitere Entwicklung mit Spannung erwartet wird. Die anhaltenden Spannungen zwischen den verschiedenen Gerichtsinstanzen und politischen Parteien werden weiterhin aufmerksam verfolgt.

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