Europarat-Berichterstatterin Bayr: Mögliches Aussschlussverfahren der Türkei im Jänner

Petra Bayr, Berichterstatterin des Europarats, beleuchtet die Hintergründe des Ausschlussverfahrens gegen die Türkei und appelliert leidenschaftlich für die Freilassung von Kavala. Dabei betont sie die unerlässliche Bedeutung europäischer Solidarität und skizziert mögliche Konsequenzen für die Türkei bei Nichtbeachtung der Menschenrechte.

BİLAL BALTACI 24 Kasım 2023 DE

Foto: Council of Europe

Im Kronos-Interview erklärt SPÖ-Außenpolitiksprecherin Petra Bayr, Berichterstatterin des Europarats im Fall Osman Kavala, die jüngste Resolution des Europarats zur Türkei. Sie erläutert die Hintergründe des Ausschlussverfahrens gegen die Türkei und setzt sich vehement für die Freilassung von Kavala ein. Bayr betont die Wichtigkeit europäischer Solidarität und appelliert an die Türkei, Menschenrechte zu respektieren. Das Gespräch beleuchtet politische und rechtliche Aspekte des Falls sowie potenzielle Konsequenzen eines Ausschlusses aus dem Europarat.
Kronos: Frau Bayr, Sie sind Berichterstatterin des Europarats im Fall von Osman Kavala. Wie bewerten Sie die aktuelle Situation?

Petra Bayr: Vielen Dank für die Einladung. Als Berichterstatterin des Europarats im Fall Kavala liegt mein Fokus darauf, die unrechtmäßige Inhaftierung dieses Menschenrechtsaktivisten anzuprangern und Maßnahmen zu ergreifen, um seine Freilassung zu erreichen.

Der Bericht wurde mit großer Unterstützung angenommen. Wie interpretieren Sie diese Abstimmungsergebnisse?

Die breite Unterstützung für die Resolution, auch von türkischen Oppositionsabgeordneten, zeigt, dass die Besorgnis über die Inhaftierung weit über politische Grenzen hinausgeht. Nur die AKP-Abgeordneten und die Abgeordneten aus Aserbaidschan hatten eine ablehnende Haltung. Dies ist aber nicht überraschend, angesichts der engen Bindungen zwischen der Türkei und Aserbaidschan.

Sie fordern die sofortige Freilassung von Osman Kavala und betonen, dass er aufgrund seines menschenrechtlichen Engagements als politischer Gefangener festgehalten wird. Welche Bedeutung hat das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in diesem Kontext?

Die klare und wiederholte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass die Türkei Osman Kavala freilassen muss, unterstreicht die Unrechtmäßigkeit seiner Inhaftierung. Dieser rechtliche Standpunkt sollte von der Türkei respektiert werden.

Die parlamentarische Versammlung des Europarats denkt laut über weitere Schritte nach, einschließlich möglicher Konsequenzen wie einem Ausschluss der Türkei aus dem Europarat. Wie realistisch halten Sie solche Maßnahmen, und welche Auswirkungen könnten sie auf die Türkei haben?

Ein Ausschluss der Türkei aus dem Europarat ist eine ernste Maßnahme, die vermieden werden kann, wenn die Türkei positive Schritte unternimmt. Es sendet jedoch ein starkes Signal, dass Verletzungen grundlegender Menschenrechtsprinzipien nicht toleriert werden. Dies könnte den Druck auf die Türkei erhöhen, rechtsstaatliche Prinzipien und den Schutz der Menschenrechte zu respektieren.

Haben Sie mit Kollegen gesprochen? Wird im nächsten Jahr diesbezüglich etwas auf uns zukommen?

Die parlamentarische Versammlung des Europarats hat im Oktober einen Dringlichkeitsbericht zum Fall Kavala verabschiedet. Wenn die Türkei bis Ende Jänner Osman Kavala nicht freigelassen hat, könnte im Jänner ein Ausschlussverfahren gegen die Türkei eingeleitet werden.

Was denken Sie, was passiert, wenn es zu diesem Ausschlussverfahren kommt?

Ein Ausschlussverfahren gegen die Türkei wäre eine ernsthafte Maßnahme, vergleichbar mit dem Fall Russlands aufgrund des Überfalls auf die Ukraine. Dies würde dazu führen, dass die Türkei nicht mehr am Tisch des Europarats sitzt, wenn sie grundlegende Menschenrechtsprinzipien nicht respektiert. Es hat aber auch den großen Nachteil, dass türkische Bürgerinnen und Bürger, die sich in ihren Grundrechten verletzt sehen, nicht mehr den Schutz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als letzte Instanz genießen.

Es gibt auch Kritik, vor allem von Oppositionellen in der Türkei, dass sich der Europarat mit einem spezifischen Fall beschäftigt, während es viele andere ähnliche Fälle gibt. Wie sehen Sie das?

Der Fall Kavala ist sicher prominent und in den Medien präsent. Man könnte sogar sagen, dass der Fall stellvertretend für alle anderen Fälle gesehen wird. Es ist wichtig, diese breitere Problematik zu verstehen.

Wenn das Ausschlussverfahren eingeleitet wird, wie läuft es dann weiter?

Der Europarat hat verschiedene Gremien, darunter die parlamentarische Versammlung und das Ministerkomitee. Ein sogenanntes “Complementary Joint Procedure”, ein gemeinsames Verfahren, würde eingeleitet werden. Die Dauer hängt von der Nutzung aller Möglichkeiten zur Gegendarstellung und zum Austausch ab. Es könnte länger dauern, wenn die Türkei nicht von sich aus austritt.

Wie schätzen Sie die Stimmung unter den Abgeordneten europaweit ein?

Die Entscheidung im Oktober war nicht einstimmig, aber sehr klar. Die breite Unterstützung von Abgeordneten aus verschiedenen Fraktionen zeigt jedoch, dass die Besorgnis über Menschenrechtsverletzungen in der Türkei weit verbreitet ist.

Takip Et Google Haberler
Takip Et Instagram