Trio-Lösung der Opposition nach Wirbel: Kılıçdaroğlu kandidiert mit İmamoğlu und Yavaş

In der Türkei wäre das Bündnis gegen Präsident Erdogan an der Kandidatenfrage fast zerbrochen. Nun soll Oppositionsführer Kilicdaroglu den Amtsinhaber herausfordern. Kann er Erdogan im Mai besiegen?

KRONOS 07 Mart 2023 DE

Der türkische Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu tritt bei der für Mitte Mai geplanten Präsidentenwahl gegen Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan an. Der 74-Jährige wurde am Montag in der Hauptstadt Ankara von einem Bündnis aus sechs Parteien zum gemeinsamen Kandidaten ernannt. Um die Nominierung hatte es in den vergangenen Tagen Gerangel gegeben. Er wird auf Wunsch der İyi-Parteichefin Meral Akşener von den Oberbürgermeistern Ekrem İmamoğlu (İstanbul) und Mansur Yavaş (Ankara) begleitet. Zeitgleich mit der Wahl des Staatsoberhaupts sollen am 14. Mai auch Parlamentswahlen stattfinden. Erdoğan (69) ist bereits seit 20 Jahren an der Macht. Umfragen zufolge muss er dieses Mal um seine Wiederwahl fürchten.

Kılıçdaroğlu kündigte an, im Fall eines Erfolgs dass er die Vorsitzenden der anderen fünf Parteien zu Vizepräsidenten zu ernennen. Tausende Anhänger jubelten den sechs Politikern bei ihrem gemeinsamen Auftritt zu. Kılıçdaroğlu warb zudem um weitere Unterstützer: “Die Tür des Nationalbündnisses steht allen sperrangelweit offen, die unseren gemeinsamen Traum der Türkei teilen”, sagte er.

Die Wahlen gelten als echte Bewährungsprobe für Erdoğan. Umfragen zufolge ist seine Wiederwahl alles andere als sicher. Das Land kämpft mit massiver Inflation und hoher Arbeitslosigkeit. Nach den schweren Erdbeben vor einem Monat wurde zudem Kritik am Krisenmanagement der Regierung laut. Eigentlich wären die Wahlen erst im Juni. Erdoğan will sie jedoch auf den 14. Mai vorziehen. Dazu will er am Freitag ein Dekret zu erlassen.

Akşener war für ein Alleingang von Kılıçdaroğlu nicht zu haben

Das Oppositionsbündnis hatte sich zuvor in der Kandidatenfrage überworfen: Die Chefin der nationalkonservativen İyi-Partei, Meral Akşener, kündigte am Freitag zunächst die Zusammenarbeit auf, weil sie Kılıçdaroğlu nicht mittragen wollte. Sie favorisierte den beliebten İstanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu oder den Bürgermeister von Ankara, Mansur Yavaş. Nun gab es einen Kompromiss: Die beiden Bürgermeister sollen bei einem Erfolg ebenfalls Vizepräsidenten werden – zu einem Zeitpunkt, wenn der neue Präsident dies für angemessen hält.

Akşeners Austritt aus dem Bündnis hatte zwischenzeitlich für große Aufregung gesorgt. Sie hatte gesagt, die Wahl zwischen Erdoğan und Kılıçdaroğlu sei eine “zwischen Tod und Malaria”. Ungewiss ist noch, ob der Streit dem Bündnis schadet. İmamoğlu war im Dezember mit einem Politikverbot belegt worden. Wird dies rechtskräftig, darf er vorerst kein politisches Amt mehr ausüben. Yavaş wiederum hat einen nationalistischen Hintergrund, der kurdische Wähler abschrecken könnte. Die prokurdische HDP gehört nicht zum Sechser-Bündnis, gilt aber als Königsmacher.

Kılıçdaroğlu könnte Stimmen aus dem kurdischen Lager erhalten. So wird erwartet, dass die HDP keinen eigenen Kandidaten aufstellt. Kılıçdaroğlu steht seit fast 13 Jahren an der Spitze der Opposition – unter seiner Führung konnte seine Partei noch keine Wahl gegen Erdoğan gewinnen. Auf diese Tatsache wiesen Gegner seiner Kandidatur immer wieder hin.

Kılıçdaroğlu ist Alevit

Der 74-Jährige stammt aus der ostanatolischen Provinz Tunceli (kurdisch: Dersim) und gehört der religiösen Minderheit der Aleviten an. Der Oppositionsführer ist Befürworter einer türkischen EU-Mitgliedschaft und Verfechter eines nationalistischen Kurses beim Thema Flüchtlinge. Kritiker werfen ihm fehlendes Charisma vor. Kılıçdaroğlu hält dagegen, die Türken hätten genug von Erdoğan und dessen Führungsstil.

In einem dpa-Interview plädierte der jetzige Präsidentschaftskandidat im Dezember für eine von “Vernunft” geleitete Politik. Er gilt zwar als schlechter Wahlkämpfer, aber als guter Vermittler mit diplomatischem Geschick und Kompromissbereitschaft. Neben der CHP und der İyi-Partei gehören vier kleinere Parteien zum Sechser-Bündnis. Darunter sind auch ehemalige Weggefährten Erdoğans wie Ex-Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu (Gelecek Partei) und Ex-Wirtschaftsminister Ali Babacan (Deva-Partei).

Erdoğans islamisch-konservative AKP tritt im Bündnis mit der ultranationalistischen MHP und der kleinen nationalistisch-religiösen BBP zu den Wahlen an. Ein Großteil der Medien steht unter der Kontrolle der Regierung, die Justiz gilt als politisiert. In Deutschland leben zahlreiche wahlberechtigte Türken. Bei der Abstimmung 2018 waren es 1,4 Millionen.

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