CHP-Wahlkoordinator in Deutschland: “Ich schäme mich für die Fragen der Wahlsicherheit”

Der Wahlkoordinator von CHP Deutschland, İbrahim Vural, erzählte Kronos, wie sie sich auf den 14. Mai vorbereiten. Vural machte bemerkenswerte Aussagen zu den Wahlsicherheitsdebatten, der Zukunft der AKP-nahen NGOs in Europa und der visumfreien Einreise für türkische Bürger.

BİLAL BALTACI 05 Mayıs 2023 DE

Seit mehr als einer Woche geben die Türken und Türkinnen in Europa ihre politischen Präferenzen an den Wahlurnen ab. Die Wahl hat am Donnerstag, dem 27. April, begonnen und dauert bis zum Abend des 9. Mai. Mehr als drei Millionen Menschen haben das Recht, im Ausland zu wählen. Das Land mit dem höchsten Wähleranteil ist Deutschland. Obwohl es hier in Europa nicht gern gesehen wird, sind AKP-Abgeordnete und Minister überall unterwegs. Die Streitigkeiten in den Wahllokalen, die in der Türkei gängig sind, haben sich nach Europa verlagert. Bereits in Bremen, Marseille und Antwerpen kam es zu Angriffen in den Wahllokalen. Während in Europa um jede Stimme erbittert gekämpft wird, hat der CHP-Wahlkoordinator in Nordrhein-Westfalen, İbrahim Vural, die Fragen von Kronos beantwortet.

Wird Kemal Kılıçdaroğlu, der Präsidentschaftskandidat des Sechser-Tisches, nach Europa kommen?

Ja, er wollte kommen, aber die Veranstaltung wurde abgesagt. Wie man weiß, will Deutschland nicht, dass türkische Politiker hier Wahlpropaganda betreiben. Wir respektieren diese Haltung. Wir werden keine große Kundgebung abhalten.

Aber Mevlüt Çavuşoğlu hat in den letzten Wochen an einem Iftar-Programm in Wien teilgenommen, Abgeordnete der AK-Partei sind in ganz Deutschland zu sehen.

Unsere Abgeordneten sind auch hier. Unser Wahlkoordinationszentrum wurde bereits eingerichtet. Die CHP ist in drei verschiedenen Regionen Deutschlands tätig. Wir besuchen in Vierer-Gruppen die NGO’s, um die Beteiligung an den Wahlen zu erhöhen. Ich bin selbst im Feld. Wir sind in diesem Sinne aktiv. Aber es stimmt, dass die AKP all ihre Bemühungen ins Ausland verlagert hat. Sie wissen, dass sie in der Türkei verlieren werden. Ich glaube an den gesunden Menschenverstand unserer Bürger im Ausland. Ich denke, dass sie ihre Stimmen mit bestem Gewissen abgeben werden, um sicherzustellen, dass eine Regierung ins Amt kommt, die dem Ruf unseres Landes und dem 21. Jahrhundert entspricht.

Einige zögern, ob ihre Stimme ihr Ziel erreichen wird.

Ich schäme mich, wenn ich diese Frage höre: Was ist Sicherheit an den Wahlurnen? Wovon reden wir im 21. Jahrhundert? Unsere Bürger können beruhigt sein. Wir sind als Nationales Bündnis (Sechser-Tisch, Anm. der Red.) geeint – wir machen uns bezüglich der Wahlsicherheit keine Sorgen. Für die Räumlichkeiten gibt es jeweils vier Schlüssel, jede Partei hat einen. Ein Schlüssel ist auch beim Konsul. Diese werden jeden Morgen ausgezählt und ausgegeben. Abends werden sie alle abgezählt und wieder mitgenommen und aufbewahrt.

Wir befinden uns in den ersten Tagen der Wahl. Erwarten Sie eine Rekordbeteiligung?

Letztes Mal lag die Wahlbeteiligung bei 49 Prozent, dieses Mal erwarten wir mindestens 60 Prozent.

In der europäischen Öffentlichkeit herrscht die Meinung, dass die Türken hier für Erdoğan sind. Was sagen Sie dazu?

Dieses Mal sind wir hier, um die AKP bei den Präsidentschaftswahlen als Nationales Bündnis zu besiegen. Sie werden Geschichte sein. Wir werden unser Land so verwalten, wie es es verdient hat. Unser Land soll aufgrund der geografischen Lage mindestens so gut wie manche europäische Länder dastehen. Warum ist mein Einkommen niedriger als das der Europäer, warum ist mein Lebensstandard niedriger als der der Europäer? Wir fordern die AKP in Europa heraus. Wir haben bereits erfahren, dass es unserem Präsidenten nicht gut geht. Ich wünsche ihm eine rasche Genesung. Wir wollen ihn in die Pension schicken. Er soll etwas Zeit mit seinen Enkelkindern verbringen.

Einige von der Türkei finanzierte Nichtregierungsorganisationen wie die UID und Institutionen wie das Diyanet verhalten sich während des Wahlkampfs nicht unparteiisch. Haben Sie mit ihnen gesprochen?

So wie alle staatlichen Institutionen in der Türkei sind auch Institutionen hier in Europa stark politisiert. Die UID arbeitet wie ein verlängerter Arm der AKP. Aber was uns mehr betrübt und schmerzt, ist, dass das Ditib daran beteiligt ist. Auch es hat sich politisiert, es ist zu einem Vertreter des politischen Islam geworden. Als unser stellvertretender Vorsitzender Bülent Tezcan kam, gingen wir sie besuchen und sprachen diese Probleme an. Wir tauschen uns mit diesen Institutionen aus,  auch mit unseren Konsulaten. Wir verlangen, dass sie unparteiisch handeln. Nach den Wahlen werden wir in diesen Institutionen aufräumen.

Werden sie umstrukturiert, wenn Sie an die Regierung kommen?

Wir werden die NGO’s  nicht finanziell unterstützen. Diese Organisationen müssen über der Politik stehen. Wenn die Politik in der Türkei die Grippe bekommt, werden wir hier nicht ins Bett fallen. Wir werden hier zusammenhalten. Wir werden keine Organisationen im Ausland unterstützen, die mit terroristischen Gruppen zusammenarbeiten und wir werden unser Bestes tun, um diese aufzulösen.

Sie fordern die Visafreiheit für türkische Bürger in Europa. Wie wollen Sie das erreichen?

Die Vereinbarung ist mit der EU bereits getroffen worden. Wir werden die sechs Artikel, die die Türkei nicht erfüllt hat, schnellstens umsetzen. Wir werden den Ruf unserer Geschäftsleute retten. Selbst unsere Bürokraten, die mit grünen und grauen Pässen einreisen, werden an den Grenzen verhört. Türkische Bürger und Bürgerinnen werden erniedrigt. Sogar unsere Abgeordneten werden aufgehalten. Wir werden das alles schnell ändern. Die CHP setzt sich auch für die doppelte Staatsbürgerschaft ein. Wir sind in Kontakt mit der SPD. Ende des Jahres wird das Recht auf die doppelte Staatsbürgerschaft, die jedem gewährt wird, auch unseren Bürgern gewährt werden.

In den letzten Jahren wurden die Entscheidungen der europäischen Institutionen nicht respektiert. Werden Sie sich an die Entscheidungen dieser Institutionen halten, insbesondere an die Demirtaş- und Kavala-Entscheidungen?

Ganz klar – diese Beschlüsse werden befolgt werden. Wenn wir uns Europa zuwenden, wenn wir uns der Wissenschaft zuwenden, wenn wir uns der sich wandelnden Welt des 21. Jahrhunderts zuwenden, werden wir nicht wie manche: “Hey, Europa” sagen. Wir können uns etwas von Europa abschauen und Europa kann etwas von uns abschauen. Wir werden uns gegenseitig austauschen. Wir haben eine historische Freundschaft mit Deutschland. Warum sind wir nicht mit Europa? Wir müssen ein Modellland für die islamische Welt und ein Modellland für Europa sein. Wir sind ein Land, das die säkulare Republik und den Islam vereinen konnte. Wir werden auch die Rechte der sechs Millionen Bürger und Bürgerinnen in Europa schützen.

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